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Quantencomputer Technologie

Wie weit ist die Quantencomputer Technologie?

Ein Beitrag von Dr. Sören Hein
Partner der MIG AG

Sechs MIG Fonds haben im Juli 2019 eine Seed-Finanzierung bei dem finnisch-deutschen Start-up IQM angeführt, das zu den großen Hoffnungen in Europa bei der Entwicklung erster Quantencomputer gehört. Unserem jungen Portfoliounternehmen ist es seither gelungen, an der medialen Diskussion über die nächste Generation von Computern teilzunehmen. Dr. Jan Goetz, CEO von IQM, wurde in kurzer Zeit sowohl der Fachwelt als auch der breiteren Öffentlichkeit ein Begriff.

 

Die große Aufmerksamkeit für das Thema ist nicht zuletzt auf die überragende Bedeutung der Technologie zurückzuführen. Quantencomputer versprechen noch nie dagewesene Ansätze und fantastische Anwendungen. Gleichzeitig ist es schwierig, die Sintflut an Nachrichten in den Medien zu interpretieren. Steht der Quantencomputer schon vor dem Durchbruch oder erweist er sich als Luftnummer?

 

Wo steht die Quantencomputer Technologie?

 

Wir wollen drei neue Berichte über Quantum Computing für Sie einordnen. Nach einem Hype an positiven Nachrichten werden in einzelnen Artikel auch kritische Aspekte benannt. Auf diese wollen wir eingehen und analog zu Fact-Checkers wie snopes.com jeweils ein Rating verleihen.

 

1) „Die EU schließt Israel, die Schweiz und Großbritannien von Quanten- und Raumfahrtprogrammen aus“

Rating: Überbewertet

 

Es entstand medial der Eindruck, als würde die Europäische Union bei dem wichtigen Förderprogramm „Horizon Europe“ auf eine Spaltung hinarbeiten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zum einen handelt es sich lediglich um einen Vorschlag und noch keine Entscheidung der EU. Zum anderen sollen die Schweiz, Großbritannien und Israel nicht ausgeschlossen werden, sondern können zahlende, assoziierte Mitglieder des Programms werden.

 

Gleichzeitig ist es korrekt, dass sich die EU auch in der Ära nach Trump verstärkt um ihren Technologiezugang und dessen Förderung kümmert. Der Kauf von frühen Quantencomputern ist schon jetzt weitgehend regional geworden. Es zeichnet sich eine Aufteilung in die USA, China und Europa ab.

 

Google und die „Quantenüberlegenheit“

 

2) Chinesische Forscher liefern Beweise gegen Googles „Quantum Supremacy“

Rating: Überbewertet

 

Google hat im Oktober 2019 behauptet, erstmals eine Rechnung mit einem Quanten-Computer bewerkstelligt zu haben, die einem herkömmlichen Supercomputer so nicht möglich gewesen wäre. Diese sogenannte „Quantum Supremacy“ („Quantenüberlegenheit“) hat einen weltweiten Hype ausgelöst. Chinesische Experten streuen nun Zweifel an dem Erreichten. Ist das Potenzial von Quantencomputern also doch nicht so toll?

 

An den Möglichkeiten von Quantum Computing gibt es keinen Zweifel. Dafür sollte man aber wissen: Es gibt Rechen-Probleme, die „exponentiell schwierig“ sind, d.h. die Rechenzeit steigt mit der Größe des Problems exponentiell an. Wie wir alle aus der Covid-19 Situation gelernt haben, ist „exponentiell“ etwas anderes als beispielsweise „quadratisch“. „Exponentiell“ heißt, dass bestimmte Parameter in rasendem Tempo wachsen können. Es ist schwer, sich exponentielles Wachstum vorzustellen, denn es sieht auf kurzen Strecken ähnlich aus wie andere Kurven, die wir aus der Schule oder unserem täglichen Leben kennen. Exponentielles Wachstum ist hingegen eine ganz andere Klasse und bedarf deshalb auch Rechnerleistungen, die herkömmliche Rechner-Technologien nicht bereitstellen können.

 

Google hatte gezeigt, dass eine ganz bestimmte und an sich komplett uninteressante, künstliche Problemlösung unter gewissen Annahmen nicht mehr exponentiell viel Zeit auf einem Quanten-Computer brauchen wird. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Die chinesischen Forscher haben nun gezeigt, dass zumindest Fragestellungen, wie sie Google als Experiment mit dem Quanten-Computer angegangen sind, doch ganz gut auch ohne die neue Computertechnologie gelöst werden können. Für den Fall, dass die Aufgabenstellung nochmals 5 bis 10mal größer wäre, würden aber auch die chinesischen Forscher nicht mehr mitkommen. Für Google ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie genug der sogenannten Qubits bauen und verbinden können, um auch solche Rechnungen anstellen zu können. Insofern stimmt Googles Aussage weiterhin, auch wenn der Wendepunkt doch nicht erreicht ist. Es ist nur eine Frage der Zeit.

 

Kryptografie vs. Quantentechnologie

 

3) Ein renommierter deutscher Forscher zeigt, dass große Zahlen effizient in Primzahlen zerlegt werden können. Damit behauptet er, dass herkömmliche Verschlüsselungsalgorithmen Geschichte sind.

Rating: Überbewertet

 

Prof. Claus Peter Schnorr arbeitet seit vielen Jahren an diesem Thema. Falls es tatsächlich einen schnellen Algorithmus geben sollte, wäre das für die aktuelle Verschlüsselung ein enormes Problem, unabhängig von Quantentechnologie.

 

Im Fall von Claus-Peter Schnorr scheint ein Forschungsartikel übereilt in die breite Presse gelangt zu sein. In der Regel, auch das lernen wir in der Corona-Krise und der Impfstoffentwicklung, stellen Forscher zunächst ihre Ergebnisse über die Fachpresse den Experten vor, die die neuen Erkenntnisse dann kritisch prüfen. Inzwischen meinen Forscher, eine wesentliche Lücke in der höchst komplexen und theoretischen Argumentation von Claus Peter Schnorr entdeckt zu haben.

 

Selbst wenn die Theorie von Claus Peter Schnorr stimmen sollte, wären Quantencomputer lediglich für eine Anwendung, nämlich die unerlaubte Entschlüsselung von verschlüsselten Daten, wahrscheinlich nicht mehr ganz so sinnvoll. Aber Kryptografie ist ein großes Feld, und man kann andere oder auch noch größere Verschlüsselungsalgorithmen nehmen, die auch mit dieser Methode nicht geknackt werden können.

 

Die Quintessenz lautet, vieles was wir dieser Tage über Quantencomputer lesen konnten, ist kurzfristig überbewertet. Das langfristige Potential, das Firmen wie IQM heben wollen, bleibt riesig.

 

Der Wert eines Quantencomputers ist nicht, dass er große Zahlen zerlegen kann. Ein möglicher Wert ist, dass er es könnte. Schon diese theoretische Fähigkeit zwingt die Kryptografen dazu, sich mehr anzustrengen.

 

Die Quintessenz lautet, vieles was wir dieser Tage über Quantencomputer lesen konnten, ist kurzfristig überbewertet. Das langfristige Potential, das Firmen wie IQM heben wollen, bleibt riesig.

26. März 2021 | Foto: mauritius images / Kittipong Jirasukhanont / Alamy

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