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Wie Temedica Daten nutzt, um die Medizin der Zukunft zu gestalten

Interview mit Boris Bernstein

Partner der MIG Capital AG

Die Welt generiert unaufhörlich eine immer größere Menge an Daten. Die Prognosen besagen, dass bis zum Jahr 2025 jährlich über 180 Zettabytes an Daten generiert werden, verglichen mit nur 6,5 Zettabytes im Jahr 2012.

Doch wie können wir aus dieser Datenflut kluge Erkenntnisse gewinnen? Um dieses „Gold des 21. Jahrhunderts“ zu nutzen, hat MIG in verschiedene datengetriebene Geschäftsmodelle investiert. Unternehmen wie Temedica, Konux und Talpa setzen alle auf ein gemeinsames Prinzip: Sie sammeln, aggregieren und analysieren gigantische Mengen an Daten, um mit Hilfe neuester Data-Science-Methoden und künstlicher Intelligenz konkrete Fortschritte zu erzielen.

Temedica beispielsweise betreibt Europas führendes Ökosystem für Real-World-Insights im Gesundheitssektor. Im Zentrum des Unternehmens steht ihre innovative Permea-Plattform. Sie speichert, zentralisiert und verarbeitet die durch ihr Ökosystem generierten Gesundheitsdaten, welche unter Anwendung künstlicher Intelligenz und höchster technologischer und ethischer Standards in wertvolle Erkenntnisse verwandelt werden, die allen Akteuren des Gesundheitssystems ein umfassendes Verständnis über Patienten bieten. Im Interview mit Boris Bernstein, Partner bei MIG Capital, erfahren wir mehr über die Nutzung von Real-World-Data bei Temedica. Er betreut das Münchner Startup seit 2020.

Welche Daten sammelt Temedica?

Das Ziel von Temedica ist es, Patientenerfahrungen besser zu verstehen. Die Problematik der Akteure im Gesundheitswesen ist, dass man die Wirksamkeit von Therapien im Alltag nach den klinischen Studien nur begrenzt nachverfolgen kann, weil sie von vielen Einflussfaktoren beeinflusst werden. Temedica löst dieses Problem durch sogenannte „Real-World-Evidence“, also Belege aus der Praxis. Die Grundlage dafür sind Daten, die entlang der gesamten „Reise“ eines Patienten entstehen und heute noch weit gestreut sind: angefangen vom Arztbesuch, über das verschriebene Medikament (Verschreibungs- und Apothekendaten) bis hin zum Krankenhausbesuch (EMR-Daten), sofern es so weit kommt. Darüber hinaus lässt Temedica auch Daten aus wissenschaftlichen Publikationen in Analysen einfließen.

Werden auch Daten, die von Patienten selbst generiert werden, genutzt?

Ja, Daten aus Temedicas Patienten-Apps oder beispielsweise Internetforen, auf denen Fragen gestellt oder Beiträge geschrieben werden. Daten aus Apps für Patienten werden allerdings nur genutzt, wenn die Patienten damit einverstanden sind, ihre Daten also anonymisiert spenden. In der Regel geben jedoch über 80% der Nutzer ihre Zustimmung, da sie wissen, dass die Daten der verbesserten Versorgung dienen werden.

Über wie viele einzelne Datenpunkte sprechen wir bei Temedica?

Insgesamt hat Temedica heute bereits mehr als 7 Milliarden gesundheitsbezogene Datenquellen integriert. All diese Daten fließen auf Temedicas Analyseplattform zusammen. Da es sich um sensible Gesundheitsdaten handelt, werden diese natürlich anonymisiert und DSGVO-konform gespeichert.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Daten gewinnen?

Im Umgang und der Auswertung der gesundheitsbezogenen Daten liegt das eigentliche „Geheimrezept“ von Temedica. Das Data-Science-Team kann aus den diversen Datenquellen und -punkten wertvolle Rückschlüsse gewinnen. So kann Temedica beispielsweise sehen, welche Therapiewechsel in einer spezifischen Patientenkohorte stattfinden und was die jeweiligen Gründe für die Wechsel sind, welche Behandlungserfolge oder Nebenwirkungen auftreten, wie gut sie sich an die verschriebenen Therapien halten und welche Medikamente sie parallel zu sich nehmen. Jeder Mensch ist bekanntlich unterschiedlich und Temedica ist in der Lage, Muster zu erkennen, die dem Gesundheitswesen helfen, die Patientenversorgung gezielt und effektiv zu verbessern. Außerdem ist es u. a. möglich zu erkennen, wo eine regionale Unterversorgung besteht und wo Pharmaunternehmen ihre kommerziellen Ressourcen am besten fokussieren sollten.

Wie kommt Temedica an die Daten?

Die Grundidee von Temedica basiert auf dem Prinzip eines fairen Tauschhandels innerhalb des Temedica-Ökosystems. Jeder, der auf das von Temedica neu geschaffene Wissen zugreifen möchte, legt im Gegenzug etwas in das Ökosystem hinein – das können eigene Datensätze sein oder eine Bezahlung in Form von Geld, um die Infrastruktur des Ökosystems zu finanzieren. Somit hat jeder die Möglichkeit, Teil des Ökosystem zu werden und gleichzeitig wächst das Wissen von Tag zu Tag. Hierfür zieht Temedica auf ihrer Permea-Plattform die unterschiedlichen gesundheitsrelevanten Datentypen zusammen und verarbeitet diese zu neuen Erkenntnissen weiter.

Wie wird daraus ein Geschäftsmodell für Temedica?

Die Analysen und Health-Insights von Temedica haben einen erheblichen Wert für alle Beteiligten im Gesundheitssystem, wie beispielsweise Ärzte, Patienten, Forschungsinstitute, Versicherungen und Life-Sciences-Unternehmen, die Therapien entwickeln und vermarkten. Als Kunden von Temedica zahlen diese Unternehmen eine monatliche Gebühr für den Zugang zu den Daten und Analysen in Form eines Dashboards, einer sogenannten „Software as a Service“-Lösung. Dieses Lizenzmodell ist in der Branche fest etabliert und wird auch von anderen Anbietern wie etwa IQVIA oder NielsenIQ benutzt.

Was sind die Herausforderungen?

Experten und Innovatoren innerhalb von Pharmaunternehmen sind sich einig, dass die Erkenntnisse aus den Datenanalysen von Temedica enormes Potenzial für ihre Segmente bieten. Allerdings hatten diese Unternehmen bisher noch nie Zugang zu dieser Vielfalt und Qualität an Daten. Als Pionier schafft Temedica daher einen neuen Markt und muss dafür den konkreten Mehrwert der Analysen erklären. Dieses Erklären kostet natürlich Zeit, bevor Temedica mit höchster Geschwindigkeit durchstarten kann.

Wo steht Temedica mit Permea heute?

Das Produkt von Temedica ist heute bereits sehr reif und deckt über 50.000 ICD-Codes, Diagnosen und Krankheitsbilder ab. Damit bedient das Unternehmen heute mehrere namhafte Kunden, darunter zum Beispiel die großen Pharmakonzerne Roche und Bristol Myers Squibb. Darüber hinaus ist das Unternehmen im Gespräch mit vielen weiteren potenziellen Kunden. Aktuell ist Temedica nur in Deutschland aktiv. Durch die internationale Expansion – zunächst in Europa – wird sich die Reichweite von Permea deutlich erhöhen.

Welchen Beitrag leistet MIG zur Entwicklung von Temedica?

Unser Investmentteam besitzt eine ausgezeichnete Kombination aus pharmazeutischer, technischer und kaufmännischer Kompetenz. Diese stellen wir dem Managementteam von Temedica unter anderem durch unsere Rolle im Beirat zur Verfügung. Darüber hinaus können wir auf Erfahrungen in der Skalierung von digitalen Geschäftsmodellen bei anderen Portfoliounternehmen wie Wealthpilot, Konux oder Talpa zurückgreifen. Konkret bringen wir uns zum Beispiel dadurch ein, dass wir Türen zu möglichen Kunden und Partnern im Gesundheitswesen öffnen, und dass wir das Team bei der Besetzung von Schlüsselpositionen unterstützen.

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Das Münchner Health-Insights-Unternehmen Temedica beschäftigt heute ca. 100 MitarbeiterInnen und ist seit 2020 im Portfolio der MIG Fonds 2, 8, 10, 12 und 16. Zusätzlich zu einigen Business Angels sind unter anderem auch G+J Digital Ventures, Wenvest Capital sowie Santo Venture Capital als Co-Investoren der MIG Fonds beteiligt. Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite von Temedica sowie auf der Portfolioseite der MIG Fonds.

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